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Mit dem Wort Heimat gehe ich ansonsten beim Reden und Schreiben sehr sorgsam um.
Schon deshalb, weil ich fast täglich hören und lesen muss, wie unbedacht, ja selbst- verständlich, es heutzutage mißbraucht und vermarktet wird.
Was bedeutet es uns also noch, dieses Wort Heimat, dessen Wertigkeit für die meisten unserer Vorfahren einstmals Maß aller Dinge war.
Mit dem Begriff „Heimat“ als beliebig verwendbarer, profitversprechender Aufhänger beim Verkauf von Grund und Boden, Vermarktung von Brauchtum, Kultur, Tracht und Sprache – auch gern genutzt für Werbung, in Medien und von Politikern – verschandeln wir ein Wort, das von jeher für Verwurzelung, Sicherheit, Vertrauen und Zusammenhalt stand, zu sechs bedeutungslosen Buchstaben.

Wie ernst ist es uns also mit dieser unserer Heimat und dem Wert, der für diesen Begriff steht?
Eine Frage, die uns allegemeinsam, die wir in diesem einmaligen Tal leben dürfen, nichtnur zum Nachdenken, sondern dringenst zum gemeinsamen Handeln veranlassen sollte.

Das Tal, für uns kostbare Heimat, wird zugebaut! Aber nicht für unseren Bedarf!
Der hochpreisige Immobilienwahnsinn steht für eine neue Willkommenskultur, die in Hochglanzbroschüren den Wohnluxus in idyllischer Umgebung, garniert mit Bilderbuchlandschaft, gewürzt mit Kultur und Brauchtum, bewirbt.
Hier erfahren wir, dass man sich Heimat auch erkaufenkann. Grosses Geld aus aller Welt kauft sich eine Heimat (?)
und verdrängt jene, die nicht Haus und Grund besitzen aus ihrem angestammten Lebensraum.
Gnadenlose Spekulation und Profitdenken entwurzelt so Gewachsenes und beraubt es seiner Zukunft.
Hinter meterhohen dichten Hecken, in elektronisch rundum gesicherten Luxusdomizilen wird nun Anonymität gepflegt und gewahrt.

Durchschnittlich 12.000 Kraftfahrzeuge rollen täglich durch unser Tal. Macht sich eigentlich noch jemand Gedanken welchen Wert oder Wahrheitsgehalt die Prädikate “Heilklimatische Kurorte” beinhalten?
Und an den tollen Wochenenden staut sich der Rückverkehr vom Bergsteigerdorf Kreuth durch das Tal hinaus,
hin zur Autobahn, bis ihn der riesige Schlund der Millionenstadt verschluckt, aber auch zuverlässig am nächsten schönen Wochenende wieder Richtung Süden ausspuckt.
Daran werden wir leidernichts ändern können. Aber wo (und bei wem) ist Einsicht oder gar ein Wille vorhanden,
unseren eigenen hausgemachten Verkehr vernünftig zu beschränken.
Die stetig wachsende Flotte der protzigen Statussymbole – wöchentlich das Ritual von Wasserverschwendung und Lackversiegelung in der Autowaschanlage durchlaufend – muss täglich auf jeder Kurzdistanz, sowie seeumfahrend und seestrassenflanierend stolz und unnütz gezeigt werden.
Das Fahrrad, sinnvoll für kurze Wege, erzeugt nicht die gewünschte Aufmerksamkeit.

Nicht der Klimawandel hat den Beginn der Wald- und Sommerfeste nach vorne verschoben, sondern ihre wachsende Anzahl und somit der Terminkalender.
5.000 Besucher eines Waldfestes oder 10.000 Schiffspassagiere bei einem Christkindlmarkt-Wochenende scheinen für einen Großteil der Veranstalter immer noch nicht ausreichend.
Was unnütze überregionale Werbung bewirkt, zeigt uns das zu den Waldfesten vermehrt mit Wohnwagen, Zelt und Schlafsack anreisende Publikum, sowie dank Facebook die wachsende Anzahl der Partybus-Pauschalanbieter aus der Stadt.
Und die immer gieriger werdende Schar der Vordenker und Macher unserer Tage sieht die Zukunft dieses Tales trotzdem in noch mehr Hotelbetten, Zweitwohnungen, Grossveranstaltungen und Events (mehr, grösser, öfter) gesichert.
Mit geschickt inszenierter Heimattümmelei sichern sich auch immer mehr Wölfe (nicht im Schafspelz sondern in Loden, Leinen und Lederhosen), in vielen Bereichen die besten Stücke des (jetzt noch vorhandenen) Heimatkuchens,
um sie zum eigenen Nutzen zu versilbern.

Drohen wirklich Stillstand, Verarmung oder Ausgrenzung wenn wir uns bescheidener verhalten würden?
Für die traurigen Beispiele aller Verscherbler und Vernichter, die in kurzer Zeit durchgebracht haben, was andere über Generationen aufbauten und bewahrten, würde diese Seite nicht ausreichen!

Die frühen, vorausschauenden Mahner, welche schon vor 40 oder 50Jahren gewarnt haben
(und mitleidsvoll belächelt wurden), ruhen heute auf unseren Friedhöfen.
Wir sollten uns sich ihrer erinnern – sie haben Recht behalten.

Veränderungen beginnen meist im Kleinen.
So leistet jeder Einzelne, der sich dem ausufernden Profit-, Konsum- und Ellenbogenverhalten mit seinen talweit sichtbaren Folgen verweigert, einen kleinen, aber wichtigen Beitrag zur Erhaltung unserer Werte, für Natur, Landschaft und Kultur.
Mit einem “Weniger” von all dem vorab Beschriebenen, aber gesundem “Mehr” an Einsicht, Vernunft und auch Rücksicht, könnten wir vieles verändern.
Hinterlassen wir unseren Kindern und Enkeln nicht nur Haus und Grund, sondern auch Liebe und Wertschärtzung für dieses Tal,damit es auch für sie immer noch Heimat sein darf.

Ich darf meine kleine Geschichte mit einem Dostojewski-Zitat beenden: “Ohne Heimat sein heißt leiden!”

Martin Köck